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Im Vorfeld hatte ich mir vorgenommen, beim letzten grossen Lauf des Jahres einfach Spass zu haben, gleichmässig zu laufen, möglichst ohne Einbruch. Und ja, schön wäre es schon, meine Bestzeit zu knacken, aber der optimistischen Prognose von Running Coach von einer Verbesserung von über 15 Minuten traute ich nicht ganz.
Das erste Ziel drohte schon im Vorfeld zu scheitern. Wochen-, ja monatelang war es warmes, angenehmes Herbstwetter gewesen. Ausgerechnet am Marathonwochenende war es nass und kalt, allerdings am Genfersee noch angenehmer als andernorts. Aber bei miesem Wetter laufen macht wenig Spass, mehr Kleider machen nicht schneller.
Bei der Anreise per Zug nach Lausanne war das Wetter garstig, feine Schneehäubchen lagen auf den Hügeln des Waadtlandes. Meine Stimmung im Keller, Ruhepuls viel zu hoch und mein Magen am Rebellieren. Vom Bahnhof Lausanne führte direkt die U- Bahn/Funiculaire bis zum Marathongelände am See unten. Das Zelt, in dem die Startnummern ausgegeben wurden, war glücklicherweise geheizt. Bei dem kalten, windigen und regnerischen Wetter hätte ich mich am liebsten im Zelt verkrochen und auf bessere Zeiten gewartet. Hier war übrigens auch die Gepäckaufbewahrung. Ich finde das immer sehr sinnvoll, wenn man nach dem Zieleinlauf nicht ewig braucht bis zu den trockenen Klamotten. Gerade wenn es kalt ist.
Ich holte meine Startnummer und zog mich um. Mit einem kurzen Spaziergang testete meine Kleidung draussen im Regen. Kurze Hosen waren gerade noch auszuhalten trotz 6 Grad, Regenjacke schon nur wegen dem Wind zu empfehlen. Handschuhe und Mütze würden wohl mitkommen müssen – sogar beim Gehen hatte ich bald kalte Ohren.
Vom Ziel zum Gepäckdepot waren es rund 500 m, von dort zu den Garderoben nochmals gut so weit und zum Start noch ein paar Minuten mehr. Das hiesse vom Ziel 1 km gehen bis zur Dusche. Nach dem Marathon erfahrungsgemäss eine unangenehme Vorstellung. Zudem musste man danach auch noch den Hügel zum Bahnhof hinauf oder retour zum Funiculaire… Aua...
Ich verbrachte noch eine Weile an der Wärme, mein Magen beruhigte sich. Danach ging es mit Regenschutz und mit übergestülptem Kehrichtsack in Richtung des Startgeländes. Von hier hätte es auch noch einen Gepäcktransport zurück gegeben, den sparte ich mir aber. Beim Start verbrachte ich eine Viertelstunde beim Aerobic-Einwärmen, was vermutlich für die Zuschauer nach einem regen-tanzenden Kehrichtsack ausgesehen hat. Nach einem kurzen Boxenstopp bei den Toiletten (wie immer zu wenige) war schon Startzeit. Und freundlicherweise stoppte nun auch der Regen, was meine Laune merklich hob.
Ich stand keine Minute im Startblock und schon ging es los, ab über die Startline. Ich lief die nächsten 2 km gemütlich an anderen Läufern vorbei, da ich viel zu weit hinten im Feld eingestanden war. Eilig hatten es nur ganz wenige. Von denjenigen, die da nach vorne drängten, traf man dann etliche ein paar Stunden später erschöpft wieder. Allgemein hatte ich den Eindruck, dass viele Läufer wirklich gut vorbereitet waren und genau wussten, was sie taten.
Nach 10 Minuten, das meiste davon abwärts hatte ich zum 4 Stunden Pacemaker aufgeschlossen. Obwohl ich das nicht geplant hatte, lief ich die nächsten 25 km mehr oder weniger in der Gruppe mit, weil es etwa meiner Reisegeschwindigkeit entsprach.
Nach ein paar Minuten war man im Rhythmus und Tempo eingependelt und lief gemütlich aus der Stadt Lausanne hinaus.
Das Wetter war inzwischen ganz trocken, ganz selten zeigte sich eine schwache Aufhellung. Allerdings war es immer noch kalt und der Wind war recht stark. Mütze und Handschuhe in die Tasche, Ärmel nach hinten krempeln, Reissverschluss nach unten – und bei den nächsten Böe wieder nach oben.
Unterwegs hatte es relativ viele Verpflegungsposten und es hatte jederzeit genügend gefüllte Becher vorrätig. Dazu gab es Bananen- und Orangenstücke, Schokolade und Gels in grossen Mengen. Das ist im Vergleich zu andern Läufen sehr löblich. Einzig wäre es nett gewesen, nach dem Gel auch noch etwas Wasser zu finden.
Die Route führte durch einige hübsche Weinbauerndörfer, die Aussicht über den See und auf die goldenen Weinberge wären an einem schönen Herbsttag eigentlich traumhaft gewesen.Irgendwie hatte ich plöthzlich Lust, statt Isogetränk einen spritzigen Weissen zu trinken. Bot leider niemand an. Aber der Gedanke beschäftigte mich mindestens 3 Kilometer.
Stimmungsmässig war der Lauf mager. Ein paar Bands (auffallend oft Jazz), etliche private DJs und wenige Plakate, einige davon aber wirklich witzig und nicht schon 100x gelesen. Die Speaker, welche andernorts unterwegs kommentieren und anfeuern, suchte man auch vergebens. Ob das am doch recht unfreundlichen Wetter lag?
Trotz allem hatte ich (auch ohne Weisswein) einen vergnügten Mittag. Laufen, ohne gross ausser Atem zu sein, möglichst rund und gleichmässig. Gelegentlich ein paar Worte mit den Mitlaufenden. Betrachtungen der Schuhe und Laufstile vor mir. Vor sich hin laufen, ohne viel auf die Uhr zuschauen, den Gedanken freien Lauf lassen und merken, dass man ein paar Kilometertafeln übersehen hat. Dabei sein. Marathon laufen und sich dabei gut fühlen. Ziel 1 schien erreicht.
Bei rund 20 km erreicht man Vevey. Hier läuft quer durch die Stadt, was ich allerdings auf den eher schmalen und kurvigen Wegen etwas anstrengend fand. Auch war es dann so eng, dass sich die Gruppen rund um die Pacemaker auseinanderziehen mussten.
Etwa 5 Minuten nach der HM – Marke war dann auch die Wende erreicht und es ging – immer noch kurvig - wieder aus Vevey hinaus. Ich schwatzte eine Weile mit einem älteren Bayern und schoss auch ein paar Fotos von ihm, bevor er das Tempo leicht steigerte. Vor 10 Jahren lief er noch unter 3 Stunden...
Am Stadtrand von Vevey, in einer Steigung bei ca. 27 km musste ich dann den Sub-4-Pulk langsam ziehen lassen. Ich vermute, dass ich da zwar noch ein paar Kilometer hätte folgen können, dann aber der Hammermann gekommen wäre.
Hier begannen auch die kleinen Leiden: Zehen zwicken, Muskeln motzen, Knie knacken… Ich konzentrierte meine Gedanken auf die Strasse vor mir, veränderte ganz leicht den Laufstil, schüttelte die Arme aus, gönnte mir an einer Verpflegungsstelle ein paar Sekunden Dehnen der verspannten Schultermuskeln.
So lief ich dann in meinem Tempo weiter. Da ich aber nicht mehr in einer Gruppe unterwegs war, spürte ich nun den Gegenwind deutlich stärker.
Ab ca. km 35 wurde es mehr und mehr zur Kopfsache: "Nur noch bis zur nächsten Verpflegungsstelle." "Nur noch 1 km, dann gehe ich 1 Minute." "Komm, ist doch nur noch die kleine Runde daheim". "2 x Atmen sind 10 m. Nur noch 1236 Atemzüge..." So hangelte ich mich von km zu km. Ohne unterwegs stehen zu bleiben. Gut, einmal kurz die Reben wässern. "Weiter, nicht stehen bleiben." "Ich bin ein Läufer, kein Geher." "Ich kann und werde jetzt einen Marathon LAUFEN."
Bei km 38 knicken mir plötzlich die Knie ein, ich gerate kurz ins Straucheln. Ein paar Meter gehen, dann wieder anlaufen. Meine Bestzeit müsste zu knacken sein. Km 40 bringt ein feuriges Brennen im Knöchel, glücklicherweise auch schnell wieder vorbei. Kämpfen, beissen – aber immer mehr auf wieder den Spass finden. Ich fühle mich gut!
Endlich die Abbiegung nach links zum See. Meine Uhr meldet den letzten Kilometer, vorne ist schon der Zielbogen zu erkennen. Es gelingt mir sogar etwas wie ein kleiner Endspurt, sich schön für den Fotografen in Szene setzen und dann stolz hinein ins Ziel. Eine Mischung aus Erschöpfung und Erleichterung, Stolz und stillem Jubel. Vermutlich das einzige Runners High, welches ich je erleben werde.
Ja, ich hatte es geschafft, ich war recht gleichmässig gelaufen, praktisch ohne Einbruch, auch wenn ich am Schluss doch immer langsamer geworden war. Die offizielle Zeit lag bei 4:05:35, damit hatte ich meine 6 Monate alte PB um gut 7 Minuten verbessert.
Die 4:00 Grenze, mit der ich ein wenig geliebäugelt hatte, war natürlich klar verfehlt. Ich schiebe es z.T. auf den Gegenwind, und allgemein das Wetter; andererseits war mir aber immer klar, dass die Prognose von RC sehr optimistisch und nur an einem perfekten Tag zu erreichen war. Aber letztlich finde ich die Zeit «gerade richtig». 4:01 hätte mich wohl geärgert. 4 von 5 Zielen erreicht.
Sehr positiv fand ich die Menge an Helfern, welche am Lausanne Marathon im Einsatz war: wirklich viele Polizisten, Zivilschützer und andern Streckenposten, Heerscharen von Verpflegungspersonal, Sanitäter und den vielen andern Helfern. Diesen allen gebührt ein grosser Dank.
Nicht optimal finde ich die Situation der Duschen. 1 km vom Ziel weg ist relativ viel, zudem liegen sie weg vom Funiculaire, welches wieder an den Bahnhof zurückführt. Nach 42 km möchte man einfach nur noch kurze Wege.
Das ist - nebst der schwachen Stimmung eigentlich der einzige Punkt, den man verbessern sollte.
Und nun: Beine hochlagern.
HR