Hansruedi Nyffenegger
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Der Schwarzwald war weiss, als wir uns auf dem Messegelände in Freiburg aus dem Auto schälten. Die Temperatur zeigte nur 1 Grad über Null an, der Wind sorgte dafür, dass es einem kälter vorkam. In Anbetracht der Tatsache, dass es der 3. April war, schien mir das doch etwas gar wenig. Kurz schoss mir durch den Kopf, dass ich mit der Anmeldung wohl doch die falsche Entscheidung getroffen hatte. Aber der Reihe nach:

Den Freiburg Marathon kannte ich natürlich dem Namen nach. Auf der Suche nach einem passenden Vorbereitungslauf im April, war ich dann auf die 2 Möglichkeiten Freiburg und Zürich gestossen, hatte mich dann aber Ende Februar gegen einen Start in Freiburg entschieden. Eine Anreise am Vorabend wäre nötig gewesen. Eine Anreise per Auto schloss ich aus, weil ich nach einem Marathon nicht unbedingt Auto fahren möchte, die Hotels passten mir aber irgendwie nicht in den Kram, zudem passte der Lauf nicht allzu gut in meinen Trainingsplan. Dann meldete sich meine Muskelverhärtung wieder, so dass ich weder im Februar noch im März einen 3 Stunden – Longjog gemacht hatte. Alles zusammen nicht unüberwindliche Probleme. Aber eben Gründe sich nicht anzumelden.

Allerdings gab es dann plötzlich auch Gründe gegen meine Alternative, den Zürich – Marathon. Als ich meinem Lauffreund Peter Mitte März meine Unentschlossenheit schilderte, entschied er sich spontan dazu, in Freiburg den Halbmarathon zu laufen. So konnten wir zu zweit per Auto fahren. Und innerhalb von wenigen Stunden hatte er Andy überredet, an dessen ersten Halbmarathon mitzumachen. So hätte ich auf der ersten Runde sogar zwei Pacemaker. Die sich beide deutlich mehr freuten als ich mich...

Wäre es nun ein schöner Frühlingstag gewesen, dann hätte ich mich vielleicht sogar auf den Start gefreut. So aber stand ich mit mässiger Motivation auf dem riesigen Parkplatz unmittelbar vor der Messehalle Freiburg.

Wir waren recht früh dran. Startnummernausgabe, Starterbeutel abholen ging rasch. Die FFP2 Masken waren im Innern der Gebäude zu tragen. Garderoben waren nicht allzu üppig eingerichtet, ein paar Festbänke nur, aber die waren so früh noch nicht alle besetzt. Wir zogen uns gemütlich um und ich fragte mich zum 443. Mal, ob die Wahl meines Lauftenues richtig war. Zu warm? Oder würde ich frieren? Mich in der Bise erkälten? Sollte ich die zweite Mütze tragen?

Pro 100 Fragen besuchte ich wie üblich die Toiletten, was bis kurz vor Start ohne grosse Wartezeiten klappte.

Dann näherte sich der Zeiger 9:30 Uhr und alle, d.h. rund 1000 Marathonis und über 6000 Startende bei Staffel, Halbmarathon und 10 km Lauf versammelten sich auf dem Parkplatz vor der Messe. Man merkt es: die Wege waren wirklich angenehm kurz, vom Auto in die Garderobe waren es keine 100 m, von der warmen Garderobe an den Start kaum viel mehr.

Und während wir warteten, meldete sich zunehmen die Freude. Nun, wenn du schon hier bist, kannst du auch Spass haben. Du bist gesund, darfst laufen. Bye Corona, leck mich. Du hast eine Lauferfahrung. Nutze sie. Vertrau auf den Trainingsplan. Es kommt gut. Es zeigten sich sogar kurz ein paar blaue Flecken am Himmel, später ein paar Minuten lang eine bleiche Sonne.

Wir wurden in vier Wellen auf die Reise geschickt. Ich hatte mich mit einer langsamen Zeit angemeldet und meine Laufgspänli wollten ihren Halbmarathon etwa so schnell absolvieren, wie ich meine erste Hälfte. So war klar, dass wir gemeinsam laufen wollten.

Die Strecke ist ein Rundkurs, den die Marathonis zwei Mal laufen. Dabei geht es durch verschiedene Orte rund um Freiburg, wobei man durch Parks und ruhige Einfamilienhäuser-Siedlungen läuft, mal beinahe ländlich, dann wieder breite Zufahrtsstrassen bevor es dann bei km 16 durch die Freiburger Altstadt geht. Persönlich hätte ich gerne etwas mehr von der Altstadt gesehen, auch wenn das Kopfsteinpflaster in Freiburgs Zentrum nicht das angenehmste Laufgefühl vermittelt.

Die Verpflegungsposten waren alle rund 5 km zu finden, immer gab es Wasser, ansonsten Iso, Bananen und einmal Cola und alkoholfreies Bier. Das grösste Problem hier war, dass die Getränke und Bananen so kalt waren, dass es mich an den Zähnen schmerzte.

Zu dritt, mit meinen beiden «Hasen» war das Laufen angenehm, auch wenn man sich immer etwas im Auge behalten musste.   

Allerdings passierte nach rund 17 km genau das, was ich gefürchtet hatte: mein Bein machte wieder Beschwerden. Innert weniger Schritte machte der Waden-Muskel zu, fühlte sich hart und schmerzhaft an. Glücklicherweise war es nur ein einzelner Punkt eher aussen an der Wade. Zwar schmerzhaft aber nicht wirklich eine Beeinträchtigung.

Ich konzentrierte mich darauf, meinen Laufstil zu verändern, herauszufinden, ob ich weiterlaufen konnte, oder ob es immer schlimmer wurde. Anhalten und Dehnen wäre eine Möglichkeit. Im Vorfeld hatte ich mir vorgenommen, dass ich bei solchen Problemen nach dem Halbmarathon abbrechen würde. Denn durchbeissen und mit verhärteten Beinmuskeln ins Ziel hinken, würde mir wohl wieder ein paar Wochen vorsichtiges Schonen und längerfristige Schmerzen einbringen.

Glücklicherweise konnte ich die Muskeln mit leicht veränderten Bewegungen in Gang halten, die Verhärtung löste sich sogar Kilometer um Kilometer, so dass ich mich dann mit gutem Gewissen auf die zweite Runde machen konnte. Die erste Hälfte hatte ich in 2:04 zurückgelegt, allerdings war mir klar, dass mich meine beiden Pacemaker recht schnell gemacht hatten. Ich hatte mich auf etwas unter 4:20 eingestellt. Da es nun aber eine ganze Weile mal leicht abwärts ging, beschloss ich mein Tempo beizubehalten.   

Nachdem nun die Halbmarathonis im Ziel waren, hatte man die Strecke fast für sich alleine. Trotzdem waren immer noch viele Leute am Strassenrand und jubelten. Und auch viele der Bands spielten trotz Kälte und gelegentlich sogar vereinzelten Schneeflocken mit viel Leidenschaft weiter.

Ich trabte gemütlich weiter, ab km 25 wieder leicht aufwärts, trotzdem konnte ich meinen Schnitt halten. Ich ertappte mich mehrfach dabei, dass ich den Eindruck hatte, die Strecke sei kürzer geworden. «Ach, schon wieder bei der Salsa – Band?» «Guck, schon die lustige Familie» «War diese Ambulanz nicht weiter hinten, vorhin…?» Erst auf den letzten paar Kilometern, bei der zweiten Strecke durch die Altstadt wurde es etwas zäher, aber ich musste kaum mentale Tricks auspacken. Ein paar Gedanken an andere Läufer, an die nächsten grossen Laufziele, an die Medaille im Ziel…

Ich geriet nicht mal in Versuchung ein paar Schritt zu gehen. Das liegt ev. auch daran, dass ich immer noch andere Läufer überholen konnte oder mich gelegentlich ein wenig an einen Staffelläufer anhängen konnte.

Einziges Problem neben den Kopfsteinpflaster war eine Weile mein Magen, der mir ein paar hundert Meter lang Schmerzen bereitete, aber die waren glücklicherweise schnell weg. Und mein Bein hielt! Nicht ganz ohne Schmerzen aber gefühlt lief ich immer noch recht rund. Dass ich mehr auf den Laufstil achtete, zahlte sich aus.

Dann die letzte Kurve. Der letzte Kilometer geht leicht abwärts und ist quasi gerade. Man kann sich vorstellen, dass man es jetzt einfach bis ins Ziel rollen lassen kann. Ich genoss das Laufen. Keine Schmerzen, einfach angenehm müde. War ich schon je so entspannt dem Ziel zugelaufen? Und dann feuerten mich Peter und Andy auf den letzten 200 m noch mal an und schon war da der Zielbogen.

Wie immer geht dann nicht mehr viel. Es ist immer erstaunlich, wie rasch nach dem Ziel das System zusammenbricht. Hinken, schwanken,… ich hatte erstaunlich viel Mühe mich einigermassen gerade zu den Medaillen und zu der guten Zielverpflegung zu bewegen. Tasche aus der Gepäckaufbewahrung holen. Dabei bücken… Garderobe. Und dann zur Dusche schleppen. Diese steht draussen. Inzwischen hatte der Wind aufgefrischt. Sehr unangenehm bei Wind und 8 Grad in einer halb offenen Dusche zu stehen und dann nass und nackt wieder in die Messehallen rein…

Wie immer das Abenteuer, danach in Socken zu schlüpfen. Man könnte meinen, dass trainierte Marathonis da nicht so Probleme haben sollten. Die Erfahrung zeigt, dass das Anziehen ziemlich anstrengend sein kann. Bei der Gratismassage muss ich nicht lange anstehen. Als ein junger Läufer feststellt, dass man da die Hosen ausziehen muss, verzichtet er.

Die Massage konzentriert sich auf meine Verhärtung am Muskel. Ich könnte schreien…

Dann hole ich die Medaille. Erst hier erfahre ich die offizielle Zeit, 4:11:12. Ich bin sehr zufrieden. Es ist meine drittbeste Zeit. Erst der zweite Lauf, den ich ohne Gehstrecke durchlaufen konnte.

Zu dritt essen wir die gratis Maultaschen und geniessen ein isotonisches Hopfengetränk, bevor es heimwärts geht. Ich verschlafe einen Teil der Fahrt. Es war doch die richtige Entscheidung gewesen.

Hansruedi