Hansruedi Nyffenegger
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Im November 2023 war ich meinen letzten «richtigen» Marathon auf Zeit gelaufen. Es folgten dann Backyard Ultras oder längere Läufe, bei denen die Zeit jeweils eher unwichtig ist – ankommen ist alles. Zudem waren meine Läufe oft eher kleine Veranstaltungen mit wenigen Teilnehmern. Charmant und ein riesiges Vergnügen, aber eben halt doch nicht ganz die grosse Bühne.

Bei mir reifte nach der Laufpause vom Hochsommer der Wunsch, im Lauf des Herbstes mal wieder an einem grösseren Städte-Marathon teilzunehmen und ich ackerte die Liste mit möglichen Wettkämpfen durch. Berufliche und private Gründe sortieren dann einen Lauf nach dem andern aus und schliesslich blieb Budapest übrig. Obwohl ich sonst gerne etwas mehr Zeit in einer Stadt verbringe, war dies im ganzen Herbst in Verbindung mit einem Marathon nicht möglich. Aber zum Glück kenne ich Budapest so gut, dass ich auf weitergehendes Sightseeing verzichten konnte.

Mein Training auf diesen Wettkampf war eher kürzer als üblich und nicht unbedingt perfekt nach Lehrbuch. 4 Wochen vor dem Wettkampf lief ich in einem Backyard Ultra 48 km in 7 Stunden, 3 Wochen vorher ein Sponsorenlauf der Marke Vollgas – zu Glück aber nur 45 Minuten lang. Und ja, natürlich war ich 6 Wochen vorher den Sarnersee Halbmarathon gelaufen, sogar ziemlich schnell nach meiner Laufpause im Sommer, die wider Erwarten 4 ganze Wochen gedauert hatte – nach 3 Erholungswochen.

RC prognostizierte trotz allem immer bessere Resultate. Von ursprünglich rund 4:20 ging es am Schluss auf 4:03 runter. Mein persönliches Körpergefühl sagte etwas anderes, schon eine Pace von 6’00’’/km und eine Schlusszeit von 4:15 wäre recht ordentlich.

Am Samstag reiste ich also in die ungarische Hauptstadt, deponierte mein Gepäck im Hotel und machte mich auf den Weg meine Startnummer abzuholen. Das Racecenter war etwas ausserhalb vom Zentrum aber mit U-Bahn und Tram recht gut zu erreichen. Auf einem weiten Campusgelände standen die vielen Zelte der Sponsoren und Partner, die Nummer holte man in einem schmucklosen Unifoyer ab. Und ausser der Nummer gab es nur ein T-Shirt. Das ist etwas mager, aber ehrlich gesagt: wer will noch einen Beutel, noch mehr Werbeflyer und Gutscheine, noch mehr Gratismuster oder Socken…?

Ich setzte mich eine Weile ans Donauufer und genoss den milden Oktober-Nachmittag, dann ging es zurück ins Hotel, leichte Zwischenverpflegung unterwegs und um 18.00 Uhr ins Opernhaus. Ablenkung ist das beste vor einem Marathon.

Leider fand ich dann nach dem kulturellen Teil keinen Italiener und mit meiner Pastaparty wurde es nichts. Stattdessen gab es georgische Khinkhali. Und ja: ich konnte bei einem georgischen Salat nicht Nein sagen. Dabei weiss ich eigentlich, dass man vor einem Marathon keine Experimente machen sollte.

Die Nacht verlief erwartungsgemäss schlecht, wie üblich stand ich am Marathon-Morgen mit Kopfschmerzen auf. Die übliche Routine half etwas, aber irgendwie brachte ich meinen Porridge nicht runter und auch sonst hatte ich einen flauen Magen. Aufregung oder Khinkhali…?

Die Reise an den Start ging recht flott und ich hatte dort die Gelegenheit ein paar Mal die Toitois zu besuchen. Alles also Routine wie immer. Ausser dass ich plötzlich Hunger hatte. Nun, ich würde mich bei den vielen Verpflegungsständen ranhalten.

Dann kroch der Zeiger langsam auf 9.00 zu. Die ungarischen Speaker unterhielten das Publikum, ich reihte mich knapp vor den 4:15 Pacern ein. Ich plante einen Schnitt von 6’00’’/km oder leicht schneller zu laufen und immer etwas vor denen zu bleiben, da die Pacergruppen doch teils etwas mühsam sein können.

Dann wurden wir nach und nach an den Start geführt. Dabei geriet ich durch die Verengungen vor dem Start plötzlich hinter die Pacer. Egal, das würde ich schon korrigieren.

Mit einer Techno-Version von Brahms’ ungarischem Tanz wurden wir auf die Reise geschickt. Schon nach 100 m hatte ich die Pacer aufgeholt und in der ersten Kurve konnte ich Innenbahn überholen. Ich schaute auf meine Uhr: Pace 5’45’’ – soweit ganz OK, oder etwas zu schnell, aber was soll’s? Der Puls war tief genug.

Aber ich hatte dauernd die Pacer im Nacken. Was hatten die im Sinn? Deren Pace für eine Zielzeit von 4:15 sollte doch 6’00’’ / km sein. Auch nach 4 Kilometern waren die nur Sekunden hinter mir – es hätte schon eine Minute sein müssen.

Wir liefen zuerst der Donau entlang, dann hinter den Burghügel. Bei km 5 war ich voll im Tunnel. Dieser führt unter dem Burgberg zur Donau zurück und geradeaus über die berühmte Kettenbrücke nach Pest.

Es folgten rund 5 Kilometer durch die Innenstadt – St. Stephans-Basilika, wenden, der Andrassy Utca entlang bis zur Oper, wenden, dem Donauufer entlang, wenden und über die grüne Freiheits-Brücke zurück zum Start. Budapest hat am Donau-Ufer zwei Strassen, eine etwas höher gelegen als die andere. So läuft man oft auf der unteren Ebene und wendet dann, um auf die obere zu wechseln und umgekehrt. Damit begegnet man den schnelleren und den langsameren Läufern vor und hinter einem immer wieder, aber natürlich auch auf den Strassen in der Innenstadt, nach den vielen Wenden.  

Natürlich lernt man unterwegs auch die anderen Leute bald «kennen». Mit dem grünen T-Shirt wechsle ich immer wieder ein Grinsen, wenn einer den andern überholt. Die eine junge Dame rennt mit Katzenohren ihren ersten Marathon. (Wer bei der Anmeldung auf «erster Marathon» klickt erhält eine zusätzliche Startnummer, die Debütanten kennzeichnet). Einige der T-Shirts verraten Persönliches: «I survived cancer, now I will survive my first marathon». Hier rennt ein Spanier, da ein Vater mit seinem Sohn, …

Ich sehe auch eine Läuferin, die physisch nicht unbedingt nach Langstreckenlauf aussieht. Sie läuft mit dem schwarz geschmückten Bild eines Marines. Welche Geschichten da unterwegs sind. Was ich dagegen kaum sehe, sind die kostümierten Fun-Teilnehmenden.

Insgesamt laufen rund 6400 Menschen den Marathon, weitere starten bei der 2er oder 4er Staffel, dazu kommen 30 km, Halbmarathon, Kinderläufe... Es ist ein grosses Lauffest mit rund 11'000 Teilnehmenden, welches die ungarische Hauptstadt da zwei Tage lang organisert.

Bei km 14 läuft man wieder durch das Startgelände, macht eine Zusatzschlaufe mit der nächsten engen Wende (wenn ich richtig gezählt habe sind es am Schluss deren 12) und folgt dann der Donau auf dem Budaer Ufer bis oberhalb der Margareteninsel. Diese wird vom Norden her betreten, dann folgt eine Runde in dem Insel-Park, bevor es wieder zurück geht. Nach der Insel ein wenig Quartiere, wieder Wende und dann geht es langsam donauabwärts Richtung Start – natürlich noch mit einigen Wenden.

Am Ende der Margareteninsel beginnt mein Magen zu rebellieren. War es das gleiche, was ich schon frühmorgens spürte? Oder waren es die unbekannten Isogetränke? Viel mehr kann es eigentlich nicht sein, denn ausser Wasser, Iso, Bananen (einige matschig, einige unreif) und Traubenzucker gibt es keinerlei Verpflegung. Eine Weile versuche ich gegen die Übelkeit anzukämpfen, merke aber bald, dass ich die Geschwindigkeit nicht halten kann, ohne dass ich riskiere mich zu übergeben. So lasse ich den 4:15er Pacer bei km 30 ziehen. Die letzten 10 km laufe ich, bis es mir schlecht ist, dann marschiere ich kurz, bis sich der Magen wieder einigermassen beruhigt hat.
Grünes T-Shirt leidet auch, Katzenöhrchen ist irgendwo hinter mir, den Spanier verliere ich kurz vor dem Ziel aus den Augen. Mehrfach erhalte ich von Ungaren aufmunternte Klapse auf die Schulter… Die Route aber gefällt mir immer noch und trotz Übelkeit geniesse ich den Lauf eigentlich. Rechts der Burgberg, links laufen wir am beeindruckenden Parlament vorbei. Langsam wär's genug. Und noch eine Wende und dann geht es wieder über die Freiheits-Brücke. Noch 2 Kilometer. Nach der Brücke versuche ich etwas zu beschleunigen, mein Magen droht aber sofort mit Konsequenzen. So geht es halt mit einer Mischung von langsamem Laufen und Marschieren ins Ziel.

Am Schluss sind es 4:26:38. Das ist ein paar Minuten langsamer als ich gehofft hatte aber alles unter 4:30 ist OK. Ich lasse mir die grosse Medaille umhängen, hole eine Tasche mit Verpflegung ab – die ist angenehm üppig und mache mich auf den Weg zurück ins Hotel. Erst hier traue ich mich, allerdings meinem Magen wieder Nahrung zuzuführen.  

Ich sprudle eine gute Stunde lang im Hotel, mache ein Nickerchen und gehe abends essen. Stilles Geniessen. 

Der Budapest Marathon ein schöner Lauf durch eine schöne Stadt. Die Organisatoren zeigen, wie ein attraktiver Kurs durch eine Innenstadt geführt werden kann, ohne die gleiche Runde zwei Mal zu laufen. Die Verpflegung ist ziemlich mager (ich war in der letzten Zeit in dieser Hinsicht aber auch echt verwöhnt…), ansonsten aber hat es viele Helfer und das Anlass ist gut organisiert, sehr viele Jugendliche engagieren sich. Von der Zeit her hatte ich ein etwas besseres Resultat erhofft (AK M50 328 von 465 und Rang 2605 vom 3668) , aber hey - man wird ja nicht jünger.

Oder wie ein ungarisches Sprichwort sagt: «Chuck Norris sosem futott Maratont, én igen»

Hansruedi